Interview mit Regisseur Hans Andreas Guttner
Warum das Thema Tiergarten?
Wir haben es mit einem schwierigen komplexen Thema zu tun, von dem der Film nur einen winzigen Ausschnitt zeigt; dennoch versucht er, den Gesamtzusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren. Die menschliche Bedrohung der Umwelt aufgrund fehlender Nachhaltigkeit und uneingeschränkter, gewinnorientierter Ressourcenausbeutung in den letzten 200 Jahren, ist inzwischen auch für den Menschen selbst bedrohlich geworden. Erst ganz allmählich setzt ein Bewusstseinswandel ein, der den Verlust an Biodiversität konkret einzuschätzen weiß, hierzulande durch das Bienen- und das verheerende allgemeine lnsektensterben und Verschwinden zahlreicher Vogelarten bekannt geworden.
Was heißt das konkret für den Film?
Es gibt nur 2 Orte, in denen die Tiere aus den verschiedensten Weltregionen repräsentiert werden: die naturhistorischen Museen für die toten Tiere, die Zoos für die lebenden. Man kann sich fragen: Wozu der Aufwand? Sind Zoos nach ethischen Gesichtspunkten überhaupt berechtigt? Der Zoo ist der einzige Ort, an dem zentriert Tiere leben und überleben, die man sonst nie zu sehen bekäme, die z.T. in freier Wildbahn bereits ausgestorben oder stark gefährdet sind. Ein wesentliches Ziel ist es, Artenschutz zu betreiben - angesichts der 8 Millionen Arten und dem massiven, vom Menschen verursachten Artensterben, das allein 2 Millionen Arten bedroht, ein zweifellos utopisches Unterfangen, das aber von der Hoffnung getragen wird, das gesellschaftliche Bewusstsein im Verhältnis Mensch-Tier dahingehend zu verändern, dass territoriale Refugien für Tiere und Pflanzen entstehen, also ausreichenden Lebensraum zu schaffen, d.h. alten Lebensraum zurückzugewinnen und einen gerechten Ausgleich zwischen Mensch und Тier zu erreichen. lm Prinzip beantwortet dies auch die Frage nach der ethischen Berechtigung von Zoos. Gabe es einen gerechten Ausgleich zwischen Mensch und Tier, so der Zürcher Zoodirektor Severin Dressen, wurden Zoos überflüssig
Was bedeutet Artenschutz im Kontext der Biodiversitat in diesem Film?
Als Biodiversität wird die Vielfalt aller lebenden Organismen, Lebensräume und Ökosysteme auf dem Land, im Süsswasser, in den Ozeanen sowie in der Luft verstanden: Sauerstoff, Wasser, Nahrungsmittel sind überlebenswichtig. Wenn 2 Millionen von 8 Millionen geschätzten Arten vom Aussterben bedroht sind, ist das für den Menschen eine größere Gefährdung als der Кlimawandel, so die Aussagen der Wissenschaftler. Ein fast unüberschaubares, sehr komplexes Thema. Wie kann ein Film dieser Komplexität irgendwie gerecht werden? Der Film TIERGARTEN zeigt zahlreiche bekannte und unbekannte Tiere des Zoos Schönbrunn, die als Artenschutzprojekte vorgestellt werden. Wir erfahren, wie mühsam und zeitraubend - oft über Jahrzehnte hin - es ist, eine Art zu erhalten. Das allein wurde das Thema nicht hinreichend darstellen. Deshalb integriert der Film die universelle Dimension des Verhältnisses Mensch-Tier und des Artenschutzes durch formale lnnovationen auf der Ton- und Bildebene.
Warum wird fast immer nur vom Klimawandel und selten vom Verlust der Biodiversität gesprochen?
Die Einschränkung der Biodiversität ist verglichen mit dem Кlimawandel noch ein Forschungsdesiderat. Noch fehlt ein stärkeres Öffentlichkeitsbewusstsein für den Erhalt der Biodiversität. Was Finanzmittel betrifft, wird 100mal mehr für die Erforschung und Bewusstmachung des Klimawandels ausgegeben
Was macht also einen modernen Zoo aus?
Die Zeiten, da Zoos Ыоßеn Unterhaltungscharakter hatten, sind vorbei. Das Bewusstsein der Gesellschaft im Verhältnis zum Tier hat sich geändert. Selbst lokale Nutztierrassen werden gehalten. Zoos dienen dem Artenschutz, der Arterhaltung, als Reservepopulation, sind Zentren von Forschung und Bildung. Deshalb setzen sich namhafte Wissenschaftler wie Joan Goodall und Matthias Glaubrecht fur den Weiterbestand von modernen Zoos ein.
Biofilmografie Hans Andreas Guttner, Regisseur und Produzent
Aufgewachsen in Feld am See, Kärnten. Gymnasium in Villach.
Studium der Theater-, Zeitungs- und Rechtswissenschaften in Wien und München. Gründung der Sisyphos Film München und der Guttner Film Wien. Zahlreiche Filme für Кiпо und Fernsehen.
lnitiator des lnternationalen Dokumentarfilmfestivals München.
F I L М Е (Auswahl):
ALAMANYA ALAMANYA - GERMANIA GERMANIA (1979)
FAMILIE VILLANO KEHRT NICHT ZURÜCK (1980/81)
ТНЕ KINGS OF ТНЕ WHOLE WIDE WORLD (1983)
IM NIEMANDSLAND (1983/84)
DEIN LAND IST MEIN LAND (1988/89)
DIE FUHRE (1991)
KREUZ UND QUER (1994/96)
EINE KERZE FOR DIE MADONNA (1996)
DIE MEGAKLINIK (2004)
DER BASAR VON URFA (2006)
GEGEN DEN STROM (2007)
DER SCHNEIDERJUNGE VON URFA (2008)
GLOCKLICHE REISE (2009)
SEAN SCULLY: ART COMES FROM NEED (2010)
GREY WOLF (2011)
BEI TAG UND BEI NACHT (2014/16)
DIE BURG (2018/19)
TIERGARTEN (2024)
Auszeichnungen
Preis der deutschen Filmkritik
William-Dieterle-Filmpreis
Preis bei den lnternationalen Kurzfilmtagen Oberhausen
Bester Dokumentarfilm, World Premiere Film Awards (Ottawa)
Trofeo Golfo di Salerno
Bester Dokumentarfilm, World Film CarnivaL Singapore
Romy-Nomierung für DIE BURG als "beste Kino-Doku"
Bester Dokumentarfilm, Druk lnternationaL Film Festival (Bhutan)
Bester Dokumentarfilm, World Film Carnival Singapore
Bester Dokumentarfilm, L'Age d'Or lnternational Arthouse Film Festival